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Robert Halver | Eurosklerose – Deutschland wird sich bewegen müssen

Die europäischen Politiker haben die verdammte Pflicht, endlich zu begreifen, um was es geht. Nationales Klein-Klein setzt nicht nur die politische Einheit Europas, sondern auch wirtschaftliche Prosperität aufs Spiel. Ein Kommentar vom Börsenexperten Robert Halver.

In unserer globalen Welt sind einzelne europäische Länder nur noch Operettenstaaten. Im Extremfall wird Europa zwischen den Global Playern USA, China und Russland zerrieben wie eine Salatgurke in der Reibe. Mit der Zukunft Europas spielt man nicht:

Denn wenn die Politik versagt, versiegen früher oder später auch die Kapitalströme.

Die Eurosklerose muss man behandeln. Europa muss viel mehr sein als ein Debattier- und Subventionsverteilungsclub. Insbesondere das stärkste Land Europas, Deutschland, muss dem europäischen Gemeinschaftswerk wieder Leben einhauchen. Dazu wird Deutschland aber seinen Preis zahlen: In puncto Stabilitätspolitik wird Berlin Ländern wie Italien und Griechenland deutlich entgegenkommen müssen. Den moralischen stabilitätspolitischen Zeigefinger – so sehr er finanzpolitisch auch berechtigt ist – werden Merkel und Schäuble in der (Hand-)Tasche lassen müssen. Reform- und Sparauflagen werden deutlich weniger eingefordert werden können.

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Robert Halver

Aber auch in der Migrationspolitik wird Deutschland auf andere Länder – spätestens nach den Landtagswahlen im März – zugehen müssen. Das Beharren auf Maximalpositionen führt in keiner Auseinandersetzung zu Erfolgen und im politischen Europa schon zweimal nicht. Helmut Schmidt hätte es Realpolitik genannt. Überhaupt sollte eines nie vergessen werden: Deutschland profitiert von Europa am meisten. Das gilt wirtschaftlich, aber auch mit Blick auf die Aktienmärkte. In Deutschland wird Konjunktur gespielt. Und sollte Europa wirtschaftlich darben, haben DAX, MDAX & Co. deutliche Ladehemmungen.

Robert Halver: Und wenn alle EU-Stricke reißen?

Kommt man zu keinen tragfähigen Lösungen – würde also der Brexit stattfinden und die Flüchtlingskrise politisch eskalieren – wird sich früher oder später die Frage einer Transformation der EU zu einer Kern-EU stellen. Deutschland, Frankreich, Österreich, Finnland und die Benelux-Staaten könnten eine verkleinerte Staatengemeinschaft bilden. Der Weg dahin ist allerdings mit dramatischen und (finanz-)wirtschaftlichen Schmerzen gepflastert. Es wäre eine Abkehr von der Idee eines großen geeinten Europas, ja eine regelrechte politische Revolution, die auch schwerwiegende Kollateralschäden wie eine Währungsreform oder Schuldenschnitte beinhaltete. Wünschenswert ist dies auf keinen Fall. Es ist wünschenswert, dass die EU- und deutschen Politiker den Schuss gehört haben. Dafür sind sie im Übrigen gewählt.

Aber in der Not frisst der Teufel Fliegen. Auch mit dieser Situation müssten wir fertig werden. Längerfristig würde Deutschland aber auch bei diesem Plan B seine gute wirtschaftspolitische Stellung behalten. Dennoch, an Plan A sollte man tunlichst festhalten.

(Der Autor dieses Artikels ist Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG.)

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