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Spezial Wirtschaftspolitik: Mittelstand belastet Bürokratie und Regulierung

Der Mittelstand ist Garant für Wachstum und Wohlstand. So sieht es die Bundesregierung. Die Fakten im Umgang mit kleinen- und mittleren Unternehmen (KMU) sowie mit Selbstständigen sehen aus Sicht der Wirtschaftspolitik in der EU häufig anders aus.

Das Institut der deutschen Wirtschaft e.V. hat einige Fakten zusammengestellt. In den 28 EU-Mitgliedsländern gibt es insgesamt fast 23 Millionen kleine und mittlere Unternehmen (KMU). In Deutschland gibt es ca. 3,7 Millionen kleine und mittlere Unternehmen sowie über vier Millionen Selbstständige in Handwerk, industriellem Gewerbe, Handel, Tourismus, Dienstleistungen und freien Berufen. Trotzdem leistet sich die Gemeinschaft eine Mittelstandspolitik, die bestenfalls bruchstückhaft zu nennen ist. Eine IW-Studie zeigt Verbesserungspotenziale auf.

Kleine und mittlere Unternehmen sind in der EU strikt als Firmen mit maximal 50 Millionen Euro Umsatz und weniger als 250 Beschäftigten definiert (siehe Kasten).

Zu den KMU zählen in der EU Kleinstbetriebe, Kleinunternehmen und mittlere Unternehmen mit jeweils festgelegten Schwellenwerten für die Beschäftigung und den Umsatz beziehungsweise die Bilanzsumme. Zudem dürfen KMU nicht mehrheitlich im Eigentum eines Großunternehmens sein. Aus Praktikabilitätsgründen wird in Statistiken und Vergleichen aber oft nur ein Kriterium herangezogen, meistens die Beschäftigtenzahl.

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Das führt in Deutschland manchmal zu Verwirrungen, denn hierzulande gelten traditionell Unternehmen mit bis zu 499 Beschäftigten als mittelständisch. Hinzu kommen Familienunternehmen, die durch die Einheit von Eigentum und Unternehmensführung geprägt sind und durchaus mehr als 1.000 Beschäftigte haben können. In den meisten anderen EU-Ländern gibt es diese größeren Mittelständler kaum.

Mittelstand – KMU dominieren die EU-Volkswirtschaften

Sie stellen 99,8 Prozent aller Unternehmen. Die allermeisten davon sind Kleinstbetriebe (siehe Grafik). In den fast 23 Millionen KMU waren 2015 gut 90 Millionen Menschen erwerbstätig, die zusammen eine Bruttowertschöpfung von 3,9 Billionen Euro erwirtschafteten.

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Damit beschäftigen die KMU zwei Drittel aller Erwerbstätigen im Unternehmenssektor – ohne den Finanzsektor und die Landwirtschaft sowie die (teil-)staatlichen Bereiche Gesundheit und Soziales sowie Bildung. Der KMU-Anteil an der Bruttowertschöpfung fällt mit gut 57 Prozent etwas niedriger aus als ihr Beschäftigungsanteil (siehe nachfolgende Grafik). Der Grund dafür: Die Arbeitsproduktivität der KMU ist im Vergleich zu größeren Unternehmen geringer.

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Die EU Wirtschaftspolitik behandelt den Mittelstand recht stiefmütterlich

Zwar gibt es seit 2008 den „Small Business Act“, der dem Mittelstand eine entscheidende Bedeutung für die Sicherung von Beschäftigung und Wohlstand zumisst. Doch das Programm richtet sich vor allem an Kleinbetriebe und zuvor arbeitslose Gründer – die aber sind selten in aussichtsreichen Zukunftsbranchen unterwegs.

Die EU muss kleine und mittlere Unternehmen besser fördern und bürokratische Barrieren abbauen.

Gleichwohl haben die Krisenländer Italien und Spanien sowie Frankreich in den vergangenen Jahren versucht, einige Ideen des „Small Business Act“ umzusetzen, um ihre Gründerkultur zu verbessern. Ähnliche Ziele verfolgte die rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 – man denke etwa an die Ich-AG. Doch was kurzfristig durchaus hilft, Menschen zu aktivieren und Arbeitslosigkeit zu vermeiden, kann langfristig nur ein Baustein einer modernen Mittelstandspolitik sein.

Eine Wachstumsagenda für den europäischen Mittelstand muss zunächst das Problem beheben, dass KMU ab 250 Beschäftigten oder mehr als 50 Millionen Euro Jahresumsatz in der EU bei der Regulierung sowie in Förderprogrammen wie Großunternehmen behandelt werden, obwohl sie über weit geringere organisatorische und finanzielle Ressourcen verfügen.

Die Umsatzschwelle sollte deshalb auf 75 Millionen Euro angehoben werden, da die 50-Millionen-​Marke allein durch die Inflation von immer mehr Firmen übersprungen wird.

Zudem sollte die Politik den größeren Mittelstand besser fördern, also die Unternehmen mit bis zu 2.000 Beschäftigten und 500 Millionen Euro Umsatz. Im Gegensatz zu den KMU sind diese Firmen weitaus häufiger auf den internationalen Märkten aktiv und haben eine höhere Produktivität.

Forschung und Entwicklung im Mittelstand vorantreiben

Wie wichtig diese Mittelständler sind, zeigt ein Blick zurück: Die Stärke dieses Unternehmenssegments hat dazu beigetragen, dass Deutschland und Großbritannien die Krise von 2009 zügig überwunden haben – während dies den südeuropäischen Ländern mit ihren eher kleinen Betrieben nicht gelang.

Große Defizite gibt es – in der EU wie in Deutschland – auch bei den Innovationen. Entscheidend ist, dass die mittelständischen Unternehmen die Digitalisierung mit Blick auf die „Industrie 4.0“ vorantreiben. Dabei kann ihnen die Politik helfen, indem sie die Forschung und Entwicklung besser fördert:

Im EU-Haushalt entfallen lediglich rund 6 Prozent aller Ausgaben auf Forschung und Entwicklung – außerdem ist das zugehörige Förderprogramm „Horizont 2020“ zu 80 Prozent auf Großunternehmen ausgerichtet.

Ein Dorn im Auge ist vielen mittelständischen Unternehmen zudem das weite Feld der Bürokratie und Regulierung. Zwar hat die Arbeitsgruppe unter dem ehemaligen bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber bis 2014 eine Reihe von Vorschlägen gemacht, mit denen die Wirtschaft entlastet werden könnte – die aber wurden längst nicht alle umgesetzt. So fehlt noch immer ein europäischer „Bürokratie-TÜV“, also ein Gremium unabhängiger Experten, die unter anderem Gesetzentwürfe daraufhin prüfen, welche finanziellen Folgen sie für den Mittelstand haben.

Um den größeren und industriellen Mittelstand besser zu unterstützen, sollte die EU ihre Ziele zur Stärkung des Verarbeitenden Gewerbes konkretisieren und mit einer Wachstumsstrategie für mittlere Unternehmen verknüpfen. Dazu gehört auch, die Klimapolitik so zu gestalten, dass sie nicht zu einer Investitionsbremse wird.

(Quelle/Autor: Institut der deutschen Wirtschaft e.V. Köln / Klaus-Heiner Röhl; Senior Economist)

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