Fehlerkultur: Von FuckUp-Nights und der Angst vom Scheitern

FuckUp-Nights – Losertreffen. Sie sind das Gegenteil von Start-ups. Aber wir haben vergessen, wie wertvoll die Erfahrungen sein können, die Menschen im Kontext mit Misserfolg sammeln. Denn nur jedes zehnte Gründerunternehmen hat Erfolg.

Wer in unserer Gesellschaft als Unternehmer scheitert, wird schnell als „Loser“ abgestempelt. Ähnlich verhält es sich in vielen Unternehmen: Wer dort zum Beispiel ein Projekt gegen die Wand fährt, muss mit einem Karriere-Knick oder gar -Aus rechnen. Deshalb fällt es vielen Menschen schwer, sich und anderen einzugestehen: Ich bin oder war auf dem falschen Weg. Dadurch berauben wir uns nicht nur vieler Lernchancen.

 Was ist ein Fuck-up?  Das Gegenteil eines Start-ups – oder zumindest eine mögliche Konsequenz hiervon. Jahr für Jahr werden allein in Deutsch­land circa 300.000 Unternehmungen gegründet; also mehr als 800 pro Tag. Doch nur jedes Zehnte hat Erfolg. Das heißt: Bei circa 270.000 Jungunternehmern und Selbstständigen ist das Scheitern vorprogram­miert.

Und wenn sie scheitern? Sind sie dann stolz auf diese Erfahrung und die Leh­ren, die sie hieraus zogen? Erzählen sie anderen davon, lecken ihre Wunden und starten gereift und gestärkt neu durch? Eher selten! Wer in Deutschland scheitert, schweigt. Denn scheitern ist tabu: Es riecht nach Schwäche, schmeckt nach Fehlern. Im besten Fall erzeugt es Mitleid beim Gegenüber. Im schlimmsten Fall ist der Misserfolg ein scharlachrotes Brandmal. Das Umfeld reagiert mit Abneigung und Ausgren­zung, versteckter Schadenfreude oder Häme. Ein „Loser“ zu sein, das ist nicht lustig. Es ist peinlich: ein Grund zum Schämen und zum Schweigen.

Darüber sprechen befreit

Doch seit zwei, drei Jahren gibt es einen Trend, der mit diesem Tabu bricht. Die Mexikanerin Leticia Gasca hatte die Geschäftsidee, Indio-Kunsthandwerk übers Internet zu verkaufen. Die Umsetzung ging schief. Zunächst hatte die junge Unternehmerin Hemmungen, über ihr Scheitern zu sprechen. Doch dann erzählte sie Freunden davon und merkte, wie wichtig es für sie war, diese Erfahrung zu teilen. So entstand die Idee von FuckUp-Nights – Treffen, die Raum geben, Geschichten vom eigenen Scheitern zu erzählen. Und viele Menschen kamen. Denn die Frauen und Männer, die es sich erlaubten, offen über ihr Scheitern zu reden, erlebten dies wie eine Katharsis. Sie wur­den wieder frei von Scham, Angst und Selbstverurteilung. Frei für den nächsten Versuch, den nächsten Start.

Inzwischen hat dieser Trend viele Länder erfasst. Und in zahlreichen Großstädten finden regelmäßig solche „Loser-Treffen“ statt: Storytelling, um das Erlebte zu verarbeiten; Misserfolge salonfähig machen. Das ist ein sinnvoller Weg, um nicht in einer Art Schockstarre zu verharren, sondern wieder Mut zu fassen, aufzustehen und durchzustarten.

FuckUp-Nights: Auch sinnvoll in Unternehmen?

Solche Foren und Freiräume sind nötig – auch in Unternehmen. Denn nicht nur viele Vorstände, (Projekt-)Manager und Führungskräfte in ihnen, sondern auch Mitarbeiter, die operative Verantwortung tragen, scheuen sich zunehmend, Risi­ken einzugehen – aus Angst zu scheitern, am (gesellschaftlichen) Pranger zu stehen, das Stigma „Loser“ auf der Stirn zu tragen. Doch wer soll in unserer Gesellschaft, in unseren Unternehmen noch herausfordernde Aufgaben übernehmen und zukunftsweisende Entscheidungen, die stets risikobehaftet sind, treffen, wenn wir eine Kultur tolerieren, die ein Scheitern verurteilt? Was passiert dann mit dem Unternehmergeist, dem Pionierdenken, der Entdeckerfreude, dem Veränderungswillen, der unsere Gesellschaft und die Unternehmen voran treibt?

 Thomas Edison, der Erfinder nicht nur der Glühbirne, erhob das Fehler-Machen und Scheitern zum Prinzip . Als ein Mitarbeiter nach dem tausendsten Versuch, eine marktreife Glühbirne zu entwickeln, sagte „Wir sind gescheitert”, soll Edison erwidert haben: „Ich bin nicht gescheitert. Ich kenne jetzt 1000 Wege, wie man keine Glühbirne baut.” Dieses Denken fehlt uns zunehmend. 


Wir haben vergessen, wie wertvoll die Erfahrungen sein können, die Menschen im Kontext mit Misserfolg sammeln. Sie heben den Reifegrad und verbessern die Performance bei den nachfolgenden Aufgaben und Versuchen – wenn die Erfahrungen reflektiert und verar­beitet werden. Doch leider fördert die Kultur in unserer Gesellschaft und in vielen Unternehmen das Gegenteil. Ein Scheitern ist nicht erlaubt. Und Menschen, die gescheitert sind, bekommen selten eine zweite Chance. Doch so kann kein Lernen erfolgen. Vielleicht sollte es auch in den Unternehmen FuckUp-Nights oder -Meetings geben, in denen Mitarbeiter freimütig darüber berichten, wie sie zum Beispiel

  • ein Projekt krachend gegen die Wand fuhren, oder
  • eine Auftragschance so richtig vergeigten, oder
  • einer absoluten Fehleinschätzung unterlagen, oder
  • zu lange an einer falschen Strategie festhielten.

Ein Umdenken ist nötig

Außer den Köpfen der „Gescheiterten“ würde dies auch die Köpfe vieler ihrer Kollegen wieder freier machen, die in der ständigen Angst leben: „Das darf mir nicht passieren, sonst…“. Vermutlich würden solche Nächte oder Meetings einen Beitrag leisten dazu, dass Fehler als Chance gesehen werden und Personen, die auf dem Holzweg sind oder waren, sich und anderen offen eingestehen können:

Das ist zwar dumm gelaufen, doch ich habe daraus viel gelernt.

Auch die Personalverantwortlichen sollten umdenken. In vielen Unternehmen bedeutet zum Beispiel ein gescheitertes Projekt noch das Karriere-Aus. Also wird das sich abzeichnende Scheitern so lange verschwiegen bis die Fehlentwicklung zum Himmel stinkt, und mittelmäßige Ergebnisse werden so stark beschönigt, dass sie in gleißendem Licht erstrahlen. Und bewirbt sich ein gescheiterter Selbstständiger bei Unternehmen? Dann fassen ihn diese, wenn überhaupt, meist nur mit Glacéhandschuhen an. Dabei sollten solche Bewerber einen Bonus haben, denn sie zeigten Eigeninitiative und -verantwortung und wissen, wie man gewisse Dinge nicht machen sollte, wenn man erfolgreich sein möchte.

Eigentlich sollten die Personalverantwortlichen in den Unternehmen Bewerber – zumindest solche, die sich für eine Position bewerben, die viel Eigeninitiative und -verantwortung erfordert – in Vorstellungsge­sprächen stets fragen:

  • „Sind Sie in Ihrem (Berufs-)Leben schon einmal so richtig ge­scheitert?“. Und:
  • „Was haben Sie daraus gelernt?“

Und wenn auf der ersten Frage nichts kommt, dann sollten sie sich überlegen: Stellen wir diese Person wirklich ein?  Denn dann hat der Bewerber für seine künftige Position sehr wichtige Erfahrungen noch nicht gemacht. Oder er hat sie verdrängt. Oder er lügt. In allen drei Fällen ist er wohl nicht der Richtige.

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(“Liebling, wir müssen über das Scheitern reden …”)

Auf Warnsignale achten und hören

Wenn wir das Tabu des Scheiterns auflösen möchten, muss sich auch unsere Reaktion auf Warn- oder Alarmsignale ändern. Meist reagieren Personen (und Organisationen) heute auf ein sich abzeichnendes Scheitern wie folgt:

Reaktion 1:  Verdrängung. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Die Realität wird ausgeblendet, Warnsignale und Fakten werden verdrängt.

Reaktion 2: Augen zu und durch. Dieses Verhalten registriert man oft bei Selbstständigen, deren Business scheitert. Statt Insolvenz anzumelden und an die Öffentlichkeit zu ge­hen, werfen sie gutem Geld schlechtes hinterher – häufig mit der Begründung: „Jetzt hab ich schon so viel in­vestiert, da kann ich doch nicht einfach aufhören…“. Augen zu und durch! Dieses Verhalten beobachtet man auch in Unternehmen – zum Beispiel bei Projekten. Spricht man mit Beteiligten über gescheiterte Projekte, dann sagen sie oft: „Eigentlich war uns vor einem Jahr schon klar: Wenn wir unsere Strategie, unser  Vorgehen, unsere Ziele nicht ändern, dann erleiden wir Schiffbruch.“ Doch Stopp sagen? Auf keinen Fall! Denn das wäre ein Eingeständnis des Scheiterns. Oft sind genau dies die Momente, in denen die Beteiligten dringend Unterstützung bräuchten: jemanden, um sich auszutauschen und neu zu finden. Doch fatalerwei­se sind genau dies auch die Momente, in denen viele von uns dicht machen, die Ohren zuklappen und nicht mehr aufnahmefähig sind. Augen zu und durch!

 Es ist paradox:  Gerade in Stress-Phasen, wenn wir einen klaren Kopf bräuchten, verlieren viele Menschen diesen; ebenso ihren messerscharfen Verstand und ihre Fähigkeit, sich zu entscheiden. Und genau dann, wenn sie die meiste Energie bräuchten, um Lösungen zu finden und neue Wege zu beschreiten, fehlt ihnen diese. Sich dessen bewusst zu sein, ist gerade für Führungskräfte wichtig – nicht nur um Mitarbeitern im Bedarfsfall die nötige Unterstützung zu gewähren. Auch ihr eigenes Befinden und Handeln müssen sie gut im Blick haben, damit sie merken, wenn etwas ins Un­gleichgewicht gerät und sich in ihrem Inneren solche warnenden Stimmen melden wie:

  • Achtung, ich bin nicht mehr Herr der Situation. Oder:
  • Achtung, ich bin nicht mehr souverän!

Die Chancen im Scheitern sehen

Füh­rungskräfte, die, wenn sie solche Warnsignale registrieren, innehalten und alleine oder mit einem Unter­stützer ihre Ängste und ihr Verhalten reflektieren, haben eine große Chance, das sich abzeichnende Scheitern abzuwenden; diejenigen jedoch, die dicht machen und in der Sackgasse stecken bleiben, knallen gegen die Wand.

 Deshalb der Appell:  Achten Sie auf Ihre inneren Warnsignale. Versuchen Sie, früh zu erkennen, wann die Gefahr besteht, dass Sie in einer Sackgasse landen. Und suchen Sie sich dann jemanden, mit dem Sie die Si­tuation reflektieren können. Denn nur,  wenn wir es wagen, uns die Möglichkeit eines Scheiterns einzugestehen, können wir uns von den Automatismen lösen, in die wir oft verfallen, wenn ein Scheitern droht. Und nur wenn wir uns unser (partielles) Scheitern eingestehen, können wir auch die Chancen sehen, die hieraus entstehen.

(Autor: #DrGeorgKraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal (www.kraus-und-partner.de). Er ist u.a. Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence, der St. Gallener Business-School und der technischen Universität Clausthal)

(Rezension: Frank Schulz)

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